Führung lernen: „Eine gute Führungskraft kritisiert nicht?!“

Coach Volker Skibbe wurde vom „Mittelstandsmagazin“ aus dem Zeit-Verlag zum Thema Mitarbeiterführung zu einem ausführlichen Interview gebeten. Gute Führung lernen ist einfach. Lesen Sie hier den gesamten Artikel:

„Eine gute Führungskraft kritisiert nicht?!“

Führung lernen ist möglich. Dazu braucht es vier gute Instrumente und den nötigen Willen. Wie das funktioniert, erklärt der Hamburger Unternehmercoach Volker Skibbe.

Sie sagen, Führung zu lernen ist grundsätzlich einfach. Stimmt das wirklich?

Ja, Führung zu lernen ist nicht schwer. Man benötigt einen Werkzeugkoffer mit vier guten Instrumenten: Lob, Kritikgespräch, fachliches Training und persönliches Coaching. Diese Instrumente sollte die Führungskraft allerdings zu jeder Zeit richtig einsetzen können und praktisch im Schlaf beherrschen. Wenn ein Führungskraft Fehler in ihrer Führung macht, wendet sie diese Instrumente falsch an bzw. kennt sie gar nicht. Meistens merkt sie es ja nicht einmal, weil es nicht sofort weh tut. Natürlich klingt das jetzt für manche vielleicht zu einfach oder zu undifferenziert – aber ich denke, dass 80% aller Führungsfehler durch die wirkungsvolle und bewusste Anwendung dieser Instrumente zu vermeiden sind.

Nehmen wir an, der Mitarbeiter arbeitet nicht, wie er soll. Was tue ich?

Es kommt immer auf das Wollen, Können oder Dürfen an.

Zunächst sollte ich mich fragen, ob er nicht will oder nicht kann. Auf das ‚Wollen’ meines Mitarbeiters habe ich grundsätzlich wenig bis keinen Einfluss, das entscheidet allein er. Ich kann natürlich durch Belohnen, Bestechen oder Bedrohen Einfluss nehmen. Aber ich kann ihn nicht intrinsisch motivieren. ‚Können’ ist ein Bereich, der beide Seiten betrifft. Der Mitarbeiter bringt seinen Teil des fachlichen Könnens mit, aber ich als Führungskraft bin hier genauso gefragt ihn in seinem Können aktiv weiter zu entwickeln. Auf das ‚Dürfen’ habe ich ganz viel Einfluss, denn ich als Führungskraft setze die Grenzen, was er darf und was nicht. Das ist das Modell. Keinen Einfluss (Wollen), wenig Einfluss (Können), ganz viel Einfluss (Dürfen).

Führung lernen – kommen jetzt die Instrumente zum Einsatz?

Genau. Ich kann den Mitarbeiter zum Beispiel loben. Das ist leider schon manchen Führungskräften fremd. Sie haben die Befürchtung, dass ein Mitarbeiter weniger arbeitet, wenn er gelobt wird. Spannend ist, dass das in ihrem Tätigkeitsbereich wahrscheinlich auch so geschieht. Lob ist eine Form von Bestätigung. Die Gefahr ist, dass die Führungskraft das Lob manipulativ einsetzt. Wenn sie merkt, er will nicht, dann lobt sie möglicherweise seine Einstellung, seine Fähigkeiten – so widersinnig das jetzt auch klingen mag.  Damit wird dieses scharfe Führungsinstrument schnell stumpf. Es ist nicht ehrlich, das merkt der Mitarbeiter schnell.

Dient Lob nicht der Motivation?

Nein, Lob ist kein Instrument, um die Motivation zu steigern. Wenn ich ihn motivieren müsste, wäre er ja demotiviert. Dann aber bräuchte er ein persönliches Coaching, um herauszufinden, warum er demotiviert ist. Lob wäre dort verkehrt. Lob steht allein für Wertschätzung und Anerkennung.

Wie funktioniert das persönliche Coaching?

Es dient grundsätzlich dazu, die Mitarbeiter kennenzulernen, um Vertrauen aufzubauen. Viele Chefs meinen, ihre Mitarbeiter zu kennen, aber sie wissen wenig über sie. Dabei ist es aus meiner Sicht das wichtigste Instrument überhaupt, es wird aber am wenigsten angewandt. Die Führungskraft müsste sich dazu natürlich auch persönlich öffnen und das mögen oder können viele nicht.

Führung lernen: Geht es auch ohne?

Ich nenne es Führen auf der hellen oder auf der dunklen Seite der Macht. Kennenlernen und verstehen wollen ist anstrengend, auf lange Sicht aber erfolgreicher. Eine Führungskraft der dunklen Seite der Macht ist zunächst scheinbar effektiver. Sie manipuliert, droht, besticht, und das ist auch erfolgreich. Aber wer möchte schon in Darth Vaders Raumschiff arbeiten? Auf der hellen Seite der Jedi-Ritter hingegen arbeiten alle freiwillig.

Wenn ich nun aber herausgefunden habe, dass der Mitarbeiter einfach zu viele Fehler macht…

Fehler sind da, um gemacht zu werden. Jeder Mitarbeiter möchte grundsätzlich gut arbeiten. Deshalb hat beispielsweise eine Frage wie: ‚Was machst du da wieder für einen Mist?’ nichts mit guter Führung zu tun. Letztlich sollte sich jede gute Führungskraft folgende Einstellung zu eigen machen: „Fehler der Führungskraft sind Fehler der Führungskraft. Fehler des Mitarbeiters sind Fehler der Führungskraft.“

Wie soll ich mich dann verhalten?

Ihn fragen, ob er den Fehler bemerkt hat. Ich muss aber erst einmal herausfinden, ob es überhaupt ein Fehler war. Ich befinde mich ja gar nicht in seiner Welt. Behauptet er, 4-2=6, denken Sie vermutlich er spinnt. Knicken Sie aber mal von einem Zettel mit vier Ecken zwei davon um, wieviel haben Sie dann? Richtig sechs. Ich will sagen, es kommt immer auf die Sichtweise an. (Negative) Kritik wäre hier völlig unangebracht. Man könnte sagen, eine Führungskraft äußert keine (negative) Kritik oder ist damit äußerst äußerst sparsam.

Das Kritikgespräch steht aber auch auf Ihrer Liste der Führungsinstrumente.

Richtig, ein solches Gespräch führe ich nur, wenn ich merke, der Mitarbeiter will nicht, er verweigert mir Leistung. Das hat nichts mehr mit dem ‚Können’ zu tun. Ich habe keine Möglichkeit mehr, ihn zu führen, denn er ‚will’ nicht mehr. Das ist die letzte Ausfahrt vor der Kündigung. Das habe ich in meinen zwanzig Coaching-Jahren aber eher selten erlebt.

Wenn gute Führung so einfach ist, wieso scheitern viele, oder anders herum, wieso denken viele Mitarbeiter, sie hätten einen schlechten Chef?

Es wird häufig nur über Zahlen und nicht über Menschen geredet. Führung zu lernen steht leider auch meist nicht auf dem Stundenplan der Führungskräfte. „Meine Führungskräfte sind alles Akademiker, die können das“ – höre ich sogar ab und zu. Andererseits hängt es auch mit der persönlichen Prägung zusammen. Wenn ich selbst mit solchen ‚wenn-du-nicht-willst … dann-Drohungen’ groß geworden bin, projiziere ich sie auch auf meine Mitarbeiter. Wir sind wieder auf der dunklen Seite der Macht. Es funktioniert auch, und unter Zeitdruck ist es vielleicht sogar einfacher und schneller, mit Lob zu erpressen oder mit Schlägen zu drohen.

Kann jede Führungskraft Führung lernen?

Ja, das kann jeder lernen, der es wirklich lernen will. Auf die richtige Einstellung, also auf das ‚Wollen’ kommt es an. Je nachdem, wie talentiert der einzelne ist, wie oft er Führung trainiert, desto besser kann er natürlich werden. Wichtig ist nur, den Menschen ehrliches Interesse, Offenheit und vor allem ganz viel Vertrauen entgegenzubringen.

Wie erkenne ich die Stärken und Schwächen der einzelnen?

Erleben Sie Ihre Leute, seien sie dicht bei ihnen und fragen Sie sie! Fragen Sie den Mitarbeiter, was gut, was nicht so gut läuft. Jede gute Führungskraft sollte sofort hellhörig werden, wenn bisher laute und engagierte Mitarbeiter plötzlich leise werden. Und da sind wir wieder beim persönlichen Coaching als wichtigstem Führungsinstrument. Denn dies ist eine der wichtigsten  Tagesaufgaben einer Führungskraft: Sieh, was Deine Leute gut machen, bestätige sie und entdecke ihre Talente!